Interview Frau T. / Mutter von L.

«Ich applaudiere allen Eltern, die sich und ihrem Kind mit dem Bellevue eine Chance geben.»

«Ich hatte schon einige Male von meiner Tochter Abschied genommen. Meine Angst, sie nie mehr wieder zu sehen, wenn sie wieder mal abgehauen war und Drogen nahm, war riesig.», erzählt Frau T. beim Gespräch bei ihr Zuhause. So nämlich sah die Situation noch vor gut drei Jahren aus. Im April 2016 kam ihr Kind dann in die Jugendstätte Bellevue. Der Stand heute: Seit diesem Sommer lebt die Familie wieder gemeinsam unter einem Dach und Tochter L. hat mittlerweile eine Lehre im Detailhandel begonnen.

Frau T., was ist eigentlich alles passiert, bevor Ihre Tochter in die Jugendstätte Bellevue kam?
Oh, das ist eine lange Geschichte. Angefangen hat es damit, dass L. sich vor einigen Jahren immer stärker verschlossen hat. Heute wissen wir, dass sie damals wie keinen Platz auf dieser Welt für sich gesehen hat. Sie hat angefangen, sich selbst zu verletzen und Drogen zu nehmen. Zudem hat sie sich gegen alle Regeln widersetzt und ist immer wieder von Zuhause abgehauen. Da war sie zum Teil wochenlang verschwunden. Irgendwann kam dann ihr erster Aufenthalt in einer Psychiatrischen Klinik, unter anderem wegen Suizidgefahr.

Wurde sie von dort aus direkt in die Jugendstätte Bellevue verlegt?
Nein. Bis dort war es noch ein rechter Weg. L. kam zunächst in eine andere geschlossene Klinik. Das war keine so gute Situation für alle Beteiligten. Zumal eben viel zusammenspielte, wie etwa auch ihr schwieriger Umgang mit Sexualität. Deshalb haben wir über eine Unterbringung ohne Jungs nachgedacht. Ein Beistand hat uns schliesslich geholfen, eine Lösung zu finden, die die verschiedenen Probleme berücksichtigt. Und er hat uns dabei unterstützt, dass es auch finanziell verhebt. So kamen wir zur Jugendstätte Bellevue.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Ihre Tochter in die Jugendstätte Bellevue einzog?
Ich war zu dem Zeitpunkt an einem totalen Tiefpunkt. Die permanenten Sorgen hatten mich aufgerieben. In der Jugendstätte Bellevue hat man mich darin bestärkt, dass die Ressourcen, die ich meinem Kind als Mutter gegeben habe, ihr aber auch in schwierigen Zeiten helfen.

Das klingt, als wäre nach dem Eintritt alles «gäbig» gelaufen.
Schön wär’s… Aber leider lag noch ein ganzes Stück Arbeit vor uns bis zur guten Situation von heute. Tatsächlich kam einige Wochen, nachdem L. in die Jugendstätte Bellevue gebracht worden war, von dort ein Anruf. Man sagte mir, dass L. bei einer bewilligten Einkaufsstunde abgehauen sei. Das hat mich umgeworfen. Ich bekam massive gesundheitliche Probleme. In Absprache mit der Heimleitung haben wir dann vereinbart, dass ich mich bis auf Weiteres mal ausklinke mit Besuchen und so. Einfach aus dem Grund, weil ich keine Kraft mehr hatte und mich auch selbst schützen musste.

Hatten Sie das Gefühl, die Jugendstätte Bellevue macht es sich damit einfach und lässt Sie ansonsten mit Ihren Ängsten im Stich?
Nein! Im Gegenteil! Die Menschen dort haben mich bestärkt, dass ich für mein Kind ja immer da bin, mich aber auch mal zurückziehen darf, damit L. von ihren «alten Baustellen» loslassen kann. Die Betreuer waren grossartig und haben sich immer Zeit für mich genommen. In der Regel haben wir uns wöchentlich ausgetauscht. Wenn etwas «Ausserplanmässiges» lief, hat man sich auch dazwischen kontaktiert. Ich habe mich super betreut gefühlt.

Wann kam der Wendepunkt?
Da kann man kein fixes Datum oder Erlebnis benennen. Es war wohl eher ein Prozess, der konstant über viele Monate hinweg passiert ist. Ich denke, das ist eine Leistung des ganzen Teams. Und L. hat natürlich auch richtig Einsatz gezeigt und sich bemüht. Jedenfalls ist es allen miteinander gelungen, dass L. heute nicht mehr fortläuft, sich an Regeln hält und es schafft, ihr Leben auf eine gute Weise anzupacken.

Glauben Sie, die Zeit in der Jugendstätte Bellevue wird Ihrer Tochter in Zukunft als Makel anhaften?
Das meinen Sie jetzt nicht im Ernst, oder? Dank der Jugendstätte Bellevue hat meine Tochter ihren Schulabschluss gemacht! Da konnte man vorher nicht einmal dran denken! Und das Zeugnis, das sie nun hat, ist ein «normales» vom Kanton. Da steht nirgends Bellevue drauf. Damit kann sie sich überall bewerben, ohne schräg angeschaut zu werden. Ausserdem hat man ihr auch noch anderes beigebracht. Zum Beispiel, wie man seinen Alltag selbstständig in den Griff kriegt mit Kochen und Putzen und ein Haushaltsbudget planen und solche Sachen.

Gibt es etwas, das Sie anderen Eltern gerne mit auf den Weg geben würden?
Ich kann nur sagen, dass ich gottfroh bin, dass wir in der Jugendstätte Bellevue gelandet sind. Da trifft man auf Menschen, auf die man sich verlassen kann, die wissen was sie tun und die nicht nur schwätzen. Ich applaudiere allen Eltern, die sich darauf einlassen, solche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wenn man als Vater und Mutter nämlich diesen Schritt wagt, macht man es auch seinem Kind leichter. Mit so heftigen Problemen, wie wir sie hatten, ist man als Eltern ja selbst wie gelähmt und einfach nicht mehr in der Lage, zu erziehen und das Ruder aus eigener Kraft rumzureissen. Es ist gut, wenn man dann an jemanden kommt, der einen dabei mit vollem Engagement unterstützt.